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19.06.2019

Kommentare und Gedanken zur DIN EN 1090-1

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Schweissaufsicht aktuell

Entwurf der EN 1090-1:12:2018: Was ändert sich?

Die EN 1090-1 mit Ausgabedatum Nov. 2011 ist derzeit gültig und in Europa harmonisiert. Sie gründet aber noch auf der Bauprodukten-Richtlinie von 1988. Seit dem 01.07.2013 ist anstelle dieser BauProd-Richtlinie die Verordnung EU 305/2011 (Bauprodukten-Verordnung) vollumfänglich anzuwenden. Eine Änderung der EN 1090-1 ist also längst überfällig, weil die alten Konformitätsregeln mit den Regelungen zur Leistungserklärung nicht übereinstimmen.

Obgleich der Entwurf insgesamt nur noch halb so umfangreich ist wie die alte Version, wird dem ersten Punkt, dem Anwendungsbereich, deutlich mehr Raum gegeben. Dieser macht sehr deutlich, dass die Bauprodukte ausschließlich Einfluss auf die mechanische Festigkeit und Standsicherheit eines Bauwerkes haben müssen und man listet 44 (Bau-) Produkte auf, die diese Anforderung nicht erfüllen. Das ist auf der einen Seite gut und schafft ein wenig mehr Klarheit, stimmt aber nicht mit dem nationalen Anhang von DIN EN 1993-1-1/NA:2017-09 überein.

Unklar ist jedoch, wie z.B. mit den Geländern oder Balustraden und den Ankerplatten verfahren wird. Viele, insbesondere kleine Unternehmen, leben von der Flexibilität ihrer Fertigung. Abhilfe schaffen würde meiner Ansicht nach den Anwendungsbereich (Scope) der EN 1090-1 neben der Grundanforderung 1 – mechanische Widerstandskraft und Stabilität – um die Grundanforderung 4 – Sicherheit und Zugänglichkeit bei der Nutzung – zu erweitern.

Ein weiterer wesentlicher Unterschied zur alten DIN EN 1090-1 ist, dass die maßgeblichen Merkmale wesentlich weniger wurden. Hinzu gekommen ist die (Bestätigung der) Ausführungsklasse. Entfallen sind Schweißeignung, Bruchzähigkeit oder Schlagfestigkeit, die Ermüdungsfestigkeit und die Verformung im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit, sowie die Freisetzung von Cadmium und dessen Verbindungen und die Freisetzung radioaktiver Strahlung. Letztere beiden wurden sowieso mit NPD (no performance determined) deklariert.
Eine recht auffällige Abkürzung in dem Entwurf ist „AVCP – Assessment and Verification of Constancy Performance“ (zu Deutsch: Bewertung und Überprüfung der Leistungsbeständigkeit.)

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Nach dem Anhang ZA.1 sind die „Wesentlichen Merkmale“ nun: Die Werkstoffeigenschaften der Ausgangsprodukte, die Ausführungsklassen, der Bereich Maße, Form und Toleranzen, die Tragfähigkeit, die Dauerhaftigkeit der Tragfähigkeit und das Brandverhalten.

Bevor der Hersteller die wesentlichen Merkmale in seiner Leistungserklärung (DoP – Declaration of Performance) erklären darf, muss er mittels der Bestimmung des Produkttyps und einer werkseigenen Produktionskontrolle (WPK) den Nachweis für die „Wesentlichen Merkmale“ erbringen. Neu ist, dass der Begriff „Erstprüfung“ durch die „Typprüfung“ ersetzt wird. 
Die Typprüfung beinhaltet eine ausführliche Bewertung der wesentlichen Merkmale. Diese Prüfungen sind in einem Prüfbericht zu dokumentieren und für die Dauer von mindestens 10 Jahren aufzubewahren. Sind die Ergebnisse der Typprüfung ausreichend, so kann der Hersteller künftige gleichartige, zu Familien zusammengefasste Produkte herstellen, wenn er die Werkseigene Produktionskontrolle durchführt und damit eine gleichbleibende Produktqualität sicherstellt.

Werkseigene Produktionskontrolle (WPK)

Herstelleranforderungen:

Dokumentation in schriftlicher und systematischer Weise von
• angewendeten Herstellungsverfahren oder –prozesse sowie
• regelmäßigen Inspektionen und Prüfungen;
• mit den verwendeten Ausgangsprodukten und anderen zugelieferten Materialien oder Bauteilen
Weitere Anforderungen:
• Aufgaben und Verantwortungen müssen festgelegt und dokumentiert sein;
• Nachweis der Fachkompetenz von Personen, die die Leistungsbeständigkeit des/der Produkte(s) beeinflussen;
• Verfahren und Vorgehensweise bei Nichterfüllung der Leistungsbeständigkeit (Nichtkonformität und Korrekturmaßnahmen);
• Aufzeichnungen über den Herstellungsprozess sowie die Ergebnisse der Überprüfungen und Prüfungen am Produkt; hierzu zählt auch:
o Wiege-, Mess- und Prüfeinrichtungen müssen kalibriert und geeignet sein;
o Maschinen und sonstige Fertigungseinrichtungen müssen regelmäßig überprüft und gewartet werden;
o Ausgangsprodukte müssen entsprechende Zeugnisse oder Dokumente aufweisen;
o die Rückverfolgbarkeit der einzelnen Produkte und Dokumente muss sichergestellt sein;
o Kontrollen und Prüfungen müssen dokumentiert sein.


Der Begriff „Nicht-Gleichmäßigkeit“ im Abschnitt 6.3.2.1 ist als Übersetzung vom englischen Begriff „constancy“ nicht sonderlich gut geeignet. Man kann den Begriff auch mit Beständigkeit übersetzen, daher wäre mein Vorschlag, den Begriff der „Leistungsbeständigkeit“ oder in Fällen der „Nicht-Leistungsbeständigkeit“ zu übersetzen, was dem inhaltlichen Sinn des Textes entsprechen würde.


Aufgaben der Zertifizierungsstelle bleiben, wie gehabt die Erstinspektion des Werks und der Werkseigenen Produktionskontrolle, sowie die laufende Überwachung der Werkseigenen Produktionskontrolle.


Im Gegensatz zur ersten DIN EN 1090-1, wo es im Rahmen der Erstinspektion lediglich das System der „Werkseigenen Produktionskontrolle“ zu prüfen galt, steht nunmehr die praktische Anwendung der WPK im Pflichtenheft für die Zertifizierungsstelle. Die laufende Überwachung beinhaltet die Überprüfung der Produktionseinrichtungen und der Auszeichnungen während des Produktionsprozesses und der Prüfungen an den Endprodukten.


Dem Ausdruck „Übliche Überwachungsintervalle“ ist der Begriff „Routinemäßige Überwachungsintervalle“ gefolgt. Die Zeiträume sind unverändert. Änderungen am Produkt, am Produktionsprozess oder im System der WPK sind der Zertifizierungsstelle mitzuteilen, die ggf. eine erneute Inspektion durchführen muss. Allerdings entfällt die bislang geforderte jährliche Bestätigung durch den Hersteller, sofern keine routinemäßige Inspektion durchgeführt wird.


Fazit

Die neue DIN EN 1090-1 ist nicht nur schlanker geworden, sondern sie passt sich den rechtlichen Rahmenbedingungen durch die Verordnung EU 305/2011 an. Insbesondere der Prozess Schweißen hat keinen Sonderstatus mehr. Weder in der Leistungserklärung, noch bei der Erstinspektion oder im zusätzlich geforderten Schweißzertifikat, ist dieser wichtige Prozess zu finden. Jedoch sollte man bedenken, dass gerade in Deutschland eine große Nachfrage seitens potenzieller Auftraggeber besteht, die Kompetenz in Sachen Schweißen erkennen zu können. Es wird somit eine künftige Herausforderung der Zertifizierungsstellen, die Fachkompetenz im Sinne der Hersteller zu bestätigen. Und diese Bestätigung sollte nicht dem Zufall überlassen werden, sondern auf dem Nachweis der Kompetenz, nämlich der Akkreditierung einer Zertifizierungsstelle, z.B. nach der ISO 3834, beruhen.

Autor: Dipl.-Ing Andreas Otte, Löhne