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Automatisierte Vorgänge können den Materialausschuss reduzieren, da weniger Nacharbeiten notwendig werden und sich eine hohe Ergebnisqualität einfacher reproduzieren lässt. - © Gesellschaft für Wolfram Industrie mbH
12.04.2025

Industrie 4.0: Intuition in logische Sprache übersetzen

Industrie 4.0 ist nach wie vor in aller Munde: Anlagen werden digitalisiert, Prozesse automatisiert und Handwerker immer öfter durch Programmierer ersetzt. Obwohl auch in der Schweißtechnik bereits punktuell Messwerte wie Stromstärke, Spannung und Schweißgeschwindigkeit erhoben werden, hängen Prozesssteuerung und Überwachung noch immer vom individuellen Knowhow des Schweißers ab. Die Fähigkeit des Menschen, durch eine Kombination aus optischer Mustererkennung und akustischer Wahrnehmung flexibel auf Toleranzen in der Schweißfuge zu reagieren, übertrifft bislang das Potential maschineller Systeme. Je automatisierter ein Schweißroboter daher arbeiten soll, desto aufwändigere und präzisere Vorarbeiten sind nötig. D. h. die Intuition der Schweißer muss in logische Sprache übersetzt werden. Interdisziplinäre Ansätze und enge, auch generationenübergreifende Kommunikation sind entscheidend, um die Digitalisierung der eigenen Schweißprozesse sinnvoll zu gestalten und die Potentiale hinsichtlich einer höheren Prozessstabilität sowie Ressourceneffizienz bis hin zu Reproduzierbarkeit und Rückverfolgbarkeit voll auszuschöpfen.

Bei einer 2024 veröffentlichten Studie von BearingPoint in Kooperation mit der Hochschule München gaben 100 Prozent der befragten Unternehmen in Deutschland an, sich bereits mit der Umsetzung von Industrie 4.0 auseinandergesetzt zu haben1. Allerdings wurde die Transformation bisher bei keinem einzigen Betrieb abgeschlossen: Auf einer Skala von nicht begonnen (0) bis vollständig implementiert (10) befanden sich sämtliche Angaben innerhalb der Werte 1 bis 8. Vor diesem Hintergrund ist kaum verwunderlich, dass 81 Prozent der Unternehmen planen, in den kommenden Jahren in Industrie 4.0 zu investieren.

© stock.adobe.com/Alexander Limbach
© stock.adobe.com/Alexander Limbach

Dass sich dieses Vorhaben in der Praxis jedoch als gar nicht so einfach erweist, haben die Schweißexperten der Wolfram Industrie bereits bemerkt: Bei ihrem Kundenkreis stoßen sie zwar auf großes Interesse zum Thema Digitalisierung von schweißtechnischen Fertigungsprozessen – aber auch mindestens ebenso große Ratlosigkeit hinsichtlich der konkreten Umsetzung. Wie können Produktionslinien so digitalisiert werden, dass weder sämtliche Bestandsanlagen noch die Belegschaft ausgetauscht werden müssen? Wie muss die Prozesskette gestaltet werden, damit sie auch im Tagesgeschäft einfach sowie rentabel bleibt und die Schweißer nicht aufgrund der Komplexität dazu verleitet werden, Bauteile mal eben per Hand zu schweißen? Und das Wichtigste: Wie kann Digitalisierung sinnvoll implementiert werden, sodass es tatsächlich zu einer messbaren Ressourceneinsparung und Effizienzsteigerung kommt?

Keine Datensammelwut, sondern sinnvolles Monitoring

Technisch ist es einfacher, neue Industrie 4.0-ready Anlagen anzuschaffen, als Bestandsmaschinen nachzurüsten – die Investition einer Neuanschaffung rentiert sich pauschal jedoch für die wenigsten Unternehmen. Gut, dass es auch in älteren Maschinenparks bereits viele Ansatzpunkte gibt, Daten zu sammeln, etwa zur Stromstärke, Spannung, dem Kühlwasserstand oder der Bauteilbewegung. Viele Sensoren verfügen nach den gängigen Industriestandards jedoch nicht über die nötige hohe Auflösung, um ausreichend Daten für eine detaillierte Überwachung von Schweißprozessen zu liefern.

Damit etwa der Elektrodenverschleiß, die Schutzgaseinflüsse oder Schutzgasturbulenzen überhaupt erfasst werden können, ist eine Auflösung von mehr als 1.000 Datenpunkten pro Sekunde erforderlich. Zudem stellt beispielsweise das WIG-Schweißen bereits die Erfassung von Standardwerten wie Stromstärke und Spannung vor Herausforderungen, da die dort notwendige Hochspannungszündung eine speziell konstruierte Messung der Lichtbogenspannung erfordert. Doch die Bereitstellung entsprechend hochauflösender Messgeräte reicht nicht. Damit das Vorhaben Industrie 4.0 nicht unnötig Ressourcen verschlingt, muss das, was gemessen wird, stets im Verhältnis zu den Auswertungsmöglichkeiten stehen. Wie lässt sich dies also sicherstellen?

Damit etwa der Elektrodenverschleiß, die Schutzgaseinflüsse oder Schutzgasturbulenzen überhaupt erfasst werden können, ist eine Auflösung von mehr als 1.000 Datenpunkten pro Sekunde erforderlich - © Gesellschaft für Wolfram Industrie mbH
Damit etwa der Elektrodenverschleiß, die Schutzgaseinflüsse oder Schutzgasturbulenzen überhaupt erfasst werden können, ist eine Auflösung von mehr als 1.000 Datenpunkten pro Sekunde erforderlich © Gesellschaft für Wolfram Industrie mbH
Ressourceneffizienz und Prozesssicherheit

Das digitale Monitoring konkurriert mit einem hochqualifizierten Gegenspieler: dem Schweißer mit seiner langjährigen Erfahrung und Intuition. Aufgrund seiner plastischen 3D-Wahrnehmung ist der Mensch naturgemäß in der Lage, sehr schnell optische Muster und akustische Besonderheiten zu erkennen. Entsprechend flexibel kann der erfahrene Schweißer reagieren und etwa Toleranzen in der Schweißnaht kompensieren – und ist damit weniger anfällig für Ungenauigkeiten während der Vorverarbeitung. Je automatisierter der Schweißprozess hingegen abläuft, desto aufwändiger und penibler muss dieser durchgeführt werden. In der längeren Rüstzeit begründet sich folglich das Vorurteil, digitalisierte Schweißvorgänge würden sich grundsätzlich erst für höhere Stückzahlen lohnen.

Zeit ist jedoch nicht die einzige Ressource, die durch die Digitalisierung der Schweißtechnik maßgeblich beeinflusst wird. Automatisierte Vorgänge können auch den Materialausschuss reduzieren, da weniger Nacharbeiten notwendig werden und sich eine hohe Ergebnisqualität einfacher reproduzieren lässt. Weil es sich bei Metallen um sehr ressourcenintensive und teure Materialien handelt, können sich die hieraus gewonnene Effizienz und Prozessstabilität bereits bei Kleinserien bemerkbar machen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Anlagen korrekt eingestellt werden und die Fertigungstoleranzen minimal ausfallen. In anderen Worten: Die Expertise und professionelle Intuition der Schweißer muss in logische, programmierbare Sprache übersetzt werden.

Matthias Schaffitz ist Anwendungstechniker am Forschungs- und Produktionszentrum Wolfram Industrie GmbH in Winterthur, Schweiz - © Gesellschaft für Wolfram Industrie mbH
Matthias Schaffitz ist Anwendungstechniker am Forschungs- und Produktionszentrum Wolfram Industrie GmbH in Winterthur, Schweiz © Gesellschaft für Wolfram Industrie mbH
Menschliches Knowhow und digitalen Informationsfluss verknüpfen

An diesem Punkt prallen die Informationsflüsse der Handwerker und der Programmierer aufeinander. Damit einher geht auch eine Generationenfrage. Während klassische Handschweißer meist älteren Jahrgangs sind, gehören Operators tendenziell zu den jüngeren Kollegen. Um das tiefgründige Knowhow des traditionellen Handwerks und den schnellen Informationsfluss aus Echtzeit-Datenerfassung jedoch effektiv miteinander zu verknüpfen, muss das oftmals vorherrschende Misstrauen zwischen beiden Parteien aufgelöst werden. Traditionelle Handwerker sollten sich ein Verständnis für digitale Datenverarbeitung und Prozesssteuerung aneignen, während Operators und Programmierer die Prinzipien der Handwerkskunst erlernen sollten.

Der Schlüssel zu einer erfolgreichen digitalen Transformation der Schweißtechnik liegt also in der Kommunikation und Methodenkompetenz beider Seiten. Um ihre Kunden auf diesem Weg zu begleiten, arbeitet Wolfram Industrie daher eng mit Forschungsinstituten, Anlagenbauern sowie Endanwendern zusammen. Das Ziel besteht zunächst darin, für jede Fertigungsumgebung die erforderlichen Grundlagen zu schaffen, um die Sinnhaftigkeit der erhobenen Werte im Verhältnis zum tatsächlich möglichen Monitoring zu bewerten. Auf dieser Basis kann dann der Aufwand für die Vor- und Nachbearbeitung von Werkstücken bei automatisierten Schweißprozessen abgewogen, die Rüstzeiten minimiert und der Ressourcenverbrauch im täglichen Betrieb reduziert werden – damit die Vision einer höheren Prozessstabilität, Ressourceneffizienz und Rückverfolgbarkeit, die Industrie 4.0 zeichnet, kein leeres Versprechen bleibt.


1 https://www.bearingpoint.com/de-de/publikationen-and-events/publikationen/industrie-40-die-unvollendete-revolution/ (Aufgerufen am 18.11.2024)

(Quelle: Pressemeldung Gesellschaft für Wolfram Industrie mbH)

 

Schlagworte

AutomationDigitalisierungIndustrie 4.0MonitoringProzesssteuerungRessourceneffizienzSchweißen

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