Handwerk
© pixabay.com/Alexa
21.08.2022

Warum Lehrlinge nicht zum Ausbildungsbeginn erscheinen

Warum Lehrlinge nicht zum Ausbildungsbeginn erscheinen

Das Risiko eines Untertauchens von Bewerberinnen und Bewerbern während des Bewerbungs­prozesses – ein in der angelsächsischen Welt als „Ghosting“ oder „no-call no show“ bezeichnetes Verhalten – ist aktuell massiver denn je. Im Wall Street Journal wird davon berichtet, dass ca. 20 Prozent der neuen Mitarbeiter nicht zum Arbeitsbeginn erscheinen. Auch in Deutschland ist dieses Phänomen laut Experten immer häufiger anzutreffen – selbst bereits im Rahmen von Ausbildungsverhältnissen, die Jugendliche trotz Abschluss eines Ausbildungs­vertrags nicht antreten, ohne dies vorher anzukündigen. Da das Ausbildungsjahr zu diesem Zeitpunkt gerade beginnt, macht es die fehlende Absage oftmals unmöglich, eine adäquate Neubesetzung zu finden.

Hierzulande gibt es bislang praktisch keine empirische Evidenz über dieses Phänomen. Die vom Ludwig-Fröhler-Institut durchgeführte Studie untersucht deshalb erstmals auf Basis von prozessproduzierten Daten zu Ausbildungsverhältnissen aus der Lehrlingsrolle der Handwerks­kammer der Pfalz im Zeitraum 2015 bis 2017, welche Gruppen von Bewerbern und welche Handwerksbetriebstypen besonders stark von Ghosting betroffen sind. Der Beitrag zeigt erstmals das Ausmaß des Problems für Handwerksbetriebe, argumentiert auf Basis theoretischer Überlegungen und der empirischen Analyse, welche Gründe für Ghosting verantwortlich sein könnten und diskutiert anschließend, welche Maßnahmen Betriebe dagegen ergreifen können.

Mit zwei bis drei Prozent der Neuabschlüsse ist das Ghosting-Problem im Vergleich zu regulären Ausbildungsvertragslösungen, die im Handwerk bei ca. 35 Prozent liegen (BIBB 2021), gering. Allerdings zeigen die Analysen des Datensatzes, dass knapp fünf Prozent der Unternehmen, die von Ghosting betroffen sind, gleichzeitig zum ersten Mal ausbilden. Zudem verlieren 40 Prozent der von Nichtantritten betroffenen Unternehmen dadurch ihren einzigen Auszubildenden. In den Daten findet sich des Weiteren, dass Ghosting u. a. verstärkt bei Kleinstbetrieben mit bis zu neun Mitarbeitern auftritt. Hierbei handelt es sich also genau um jene Gruppe, die lt. BIBB im Hinblick auf die Ausbildungsbetriebsquote im Vergleich der Jahre 2007 bis 2020 besonders rückläufig ist (West: -6,6 Prozentpunkte; Ost: -4,8 Prozentpunkte) (BIBB 2022). Insgesamt ist anzunehmen, dass Ghosting mit einer starken emotionalen Involviertheit der Personalverantwortlichen einhergeht und eine zukünftige Ausbildungsbeteiligung dieser Betriebe dadurch noch stärker gefährdet wird.

Die Studie liefert viele Hinweise für Gründe von Ghosting. Unter anderem zeigt sich, dass Ghosting mit einer höheren Wahrscheinlichkeit bei älteren Bewerbern mit keinem bzw. niedrigerem Schulabschluss sowie bei Bewerbern mit nicht-deutscher Staatsbürgerschaft auf. Eine eingehende Prüfung der Bewerbungsunterlagen, z. B. mit Blick auf die besuchte Schulart, die schulischen Leistungen oder berufliche Zwischenstationen bei älteren Bewerbern, sind daher unabdingbar. Ein intensives Kennenlernen über ein Praktikum im Vorfeld der Ausbildung wird zudem empfohlen, da es – wie der Datensatz deskriptiv zeigt – nach Ghosting deutlich häufiger als bei regulären Vertragslösungen zu Berufswechseln innerhalb des Handwerks kommt.

Die Publikation „‚Ghosting‘ im Handwerk – Warum Lehrlinge nicht zum Ausbildungsbeginn erscheinen“ befindet sich derzeit im Reviewprozess bei einem wissenschaftlichen Journal.

Ansprechpartnerin:

Dr. Andrea Greilinger
Tel: +49 89 51556084
E-Mail: greilinger@lfi-muenchen.de

(Quelle: DHI – Deutsches Handwerksinstitut)

Schlagworte

ArbeitsmarktAusbildungFachkräftemangelFachkräftequalifizierung

Verwandte Artikel

26.06.2025

Fachkräftemangel trotz Flaute – Frauen sind Schlüssel zur Lösung

Trotz Konjunkturflaute bleiben die Engpässe bei Ingenieur- und IT-Fachkräften. Die Steigerung des Frauenanteils ist ein Schlüssel zur Fachkräftesicherung.

Fachkräftemangel Fachkräftesicherung Ingenieur IT MINT Wirtschaft
Mehr erfahren
Dr. Harald Scherleitner MBA  Chief Sales Officer (CSO)  Fronius International GmbH
23.06.2025

Harald Scherleitner neuer Präsident der European Welding Association

Harald Scherleitner, Chief Sales Officer (CSO) der Fronius International GmbH, übernimmt ab Ende Juni 2025 das Amt des Präsidenten der European Welding Association (EWA).

Arbeitssicherheit EWA Fachkräftemangel Präsidentschaft Schlüsseltechnologien Schweißen
Mehr erfahren
Bundesweit erster Lehrgang für Aufsichtspersonen in der additiven Fertigung (Metall)
01.06.2025

Neue Impulse in der Schweißtechnik

Die SLV Halle GmbH bildet erstmals zertifizierte Aufsichtspersonen für die additive Fertigung von Metall aus.

Additive Fertigung Ausbildung Metalltechnik Weiterbildung
Mehr erfahren
25.05.2025

Rückblick: 22. Tagung Schweißen in der maritimen Technik und im Ingenieurbau

Am 13. und 14. Mai 2025 fand die 22. Tagung Schweißen in der maritimen Technik und im Ingenieurbau hoch über dem Hamburger Hafen statt – veranstaltet von der SLV Nord, de...

Additive Fertigung Cobot Fachkräftemangel Laserhybridschweißen MSG Schweißen Reparaturschweißen Schiffbau Schweißeigenspannungen Schweißen Schweißsimulation Stahlbau Unterpulverschweißen
Mehr erfahren
Der TECH Day bot viele Gelegenheiten zum Netzwerken unter den Teilnehmenden.
23.05.2025

Kundentagung bei Cloos

Die Carl Cloos Schweißtechnik GmbH veranstaltete am 8. Mai 2025 ihre jährliche Kundentagung, den Cloos Tech Day.

Automation Digitalisierung Effizienz Fachkräftemangel KI Schweißtechnik
Mehr erfahren