Kommentar
Prof. Dr.-Ing. Emil Schubert, Geschäftsführer der Alexander Binzel Schweisstechnik GmbH & Co. KG. - © Alexander Binzel Schweisstechnik GmbH & Co. KG
09.01.2024

Wasserstoff: „Wir müssen technologieoffen bleiben“

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Schweissen und Schneiden

Wasserstoff: „Wir müssen technologieoffen bleiben“

Prof. Dr.-Ing. Emil Schubert – der WELDPROF® – ist nicht nur Professor für Fügetechnik, Doktor in Lasertechnik und promovierter Werkstoffwissenschaftler, sondern auch Geschäftsführer der Alexander Binzel Schweisstechnik GmbH & Co. KG. Im Interview steht er uns Rede und Antwort zum Thema Wasserstoff: Was sind die Anwendungsbereiche, wie kann ich Wasserstoff vermeiden und welche Perspektiven bietet der Energieträger in der Wasserstoffwirtschaft?

Welche Rolle spielt das Thema Wasserstoff für die Fügetechnik in Bezug auf Schweißnähte?

Schubert: Wasserstoff ist ein Gas, das sich durch eine sehr kleine Atomgröße auszeichnet. So ein kleines Atom passt erst einmal überall durch. Beim Schweißen bewegt man sich nicht unbedingt auf der atomaren Ebene, aber letztlich dann doch. Wenn ich schweiße und Wasserstoff in mein Schweißgut, in mein flüssiges Material, gelangt, strebt er wieder nach draußen. Wenn er drinbleibt, strebt er danach, sich wieder zu vereinen. Aus den atomaren Gasbestandteilen koaguliert das Ganze und bildet Poren. Wenn ich Poren in meiner Schweißnaht habe, habe ich eine Querschnittsschwächung. Dann genügt mein Bauteil nicht mehr den Anforderungen.

Wasserstoff kommt üblicherweise über die Vorbereitung, in das Schweißgut. Ich habe zum Beispiel meine Bleche nicht richtig gereinigt, meine Komponenten. Es ist Feuchtigkeit daran. Besonders kritisch ist das bei Aluminium. Die Löslichkeit vom Wasserstoff im flüssigen Aluminium ist sehr hoch; die Löslichkeit von Wasserstoff im festen Aluminium sehr gering. Sobald das Aluminium fest wird, möchte der Wasserstoff raus. Wenn ich dem nicht genügend Zeit gebe auszukommen und auszugasen, dann bilden sich Poren. Aber auch an vielen anderen Stellen kann ich Wasserstoff in meine Schweißnaht bekommen – über Feuchtigkeit des Grundwerkstoffs, über den Draht, wenn dieser nicht trocken gelagert wird und so weiter. Das kann dann genauso zu Poren führen und genauso kritisch werden wie bei Bauteilen aus Aluminium. Speziell ist, wenn ich Wasserstoff zum Beispiel in einem Stahlrohr transportieren möchte. Wenn ich in diesem Stahlrohr an der Verbindungsstelle Poren habe, dann geht der Wasserstoff, der in diesem Rohr transportiert werden soll, natürlich auch durch diese Poren. Zentral sind immer die Bauteilvorbehandlung, eine vernünftige Reinigung sowie die Lagerung meiner Zusatzdrähte.

Ist Automatisierung ein Hebel für eine bessere Kontrolle?

Zumindest ist der Vorgang dann kontrollierter. Ich kann auch meine Schweißparameter besser anplanen, wenn ich genau weiß: mein Blech lagert jetzt schon so und so lange und da habe ich vielleicht eine Hydroxydschicht auf meinem Blech. Aber diese ist dann immer gleich dick, wenn ich es immer gleich lange lagere bis zum Schweißprozess. Meine Schweißparameter sind immer konstant und ich kann diese auch so einstellen, dass zum Beispiel diese Ausgasung des Wasserstoffs stattfinden kann. Dann weiß ich, ich schweiße nicht zu schnell. Wenn ich zu schnell schweiße, hat der Wasserstoff keine Möglichkeit mehr, rechtzeitig aus dem flüssigen Schweißgut herauszukommen. Das kann ich natürlich, wenn ich automatisiert schweiße, leichter einstellen als bei manuellen Schweißen, wo der Schweißer vielleicht ja auch Druck hat, seine Aufgabe möglichst schnell zu erledigen.

© pixabay.com/Tom
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Wo kommt mit dem Stichwort Wasserstoffwirtschaft der Wasserstoff andersrum zum Einsatz?

Aktuell nach wie vor brennendes Thema ist die Klimakrise. Wir sehen uns der globalen Erwärmung gegenüber. Im Wesentlichen wird das durch die Nutzung fossiler Energieträger bedingt. Davon müssen wir weg. Und Wasserstoff ist eben ein nicht-fossiler Energieträger. Das ist der Hauptpunkt! Leider kommt Wasserstoff nicht, wie andere Gase, in der Luft vor. Es ist fast kein Wasserstoff in der Atmosphäre vorhanden. Ich muss ihn gewinnen. Um Wasserstoff zu erzeugen, brauche ich Strom. Letztlich wird er, grob gesagt, im Wesentlichen aus Wasser gewonnen. Ich muss das Wasser, das H2O, aufspalten in H2 und O2. Die Energie, die ich dafür brauche, ist vorrangig elektrischer Strom. Wenn ich meinen elektrischen Strom aber auch wieder aus fossilen Energieträgern gewinne, habe ich nichts gewonnen. Dann sprechen wir auch nicht von grünem Wasserstoff. Grüner Wasserstoff ist nach Definition Wasserstoff, der aus regenerativen Energien hergestellt wird. Das heißt, ich muss eigentlich schon den Schritt vor der Wasserstofferzeugung gehen. Ich brauche grünen Strom. Mit grünem Strom kann ich dann auch grünen Wasserstoff herstellen.

Wenn ich Strom brauche, um Wasserstoff zu produzieren, aber eigentlich nur meinen Strom ersetzen möchte, das ist ja fast schon ein bisschen redundant?

Was man oft vergisst, ist, dass Wasserstoff ein ideales Speichermedium für Energie ist. Strom kann ich nicht beliebig speichern. Ich erzeuge ihn, dann wird er transportiert über unsere Oberlandleitungen oder auch in die Erde eingebuddelt. Aber ich kann ihn sehr schlecht speichern. Wasserstoff kann ich irgendwo hin transportieren, dann zwischenspeichern und schließlich da, wo ich ihn brauche, verwenden. Letztlich wandle ich ihn wieder in Strom um, klar. Das geht beispielsweise mit einer Brennstoffzelle oder einem Gasbrenner. Ich habe mehr Umwandlungen, aber schlussendlich die Möglichkeit des Speichers.

Glauben Sie, dass es möglich sein wird, Schweißgeräte mit Wasserstoff zu betreiben?

Wir haben immer noch einen gewissen Anteil an Autogen-Schweiß- und Schneide-Technik. Aber das meiste, was wir machen, ist Lichtbogenschweißen. Und um einen Lichtbogen zu erzeugen, brauche ich elektrischen Strom, üblicherweise Gleichstrom. Aus unseren Steckdosen kommt Wechselstrom, der wieder in Gleichstrom umgewandelt werden muss zum Schweißen. Jetzt könnte ich eine Akkustromquelle bauen. Die gibt es heute schon, mit Batterie. Zukünftig könnte ich theoretisch eine kleine Brennstoffzelle haben, die mein Schweißgerät mit Energie versorgt. Von daher ist es denkbar, aber da sind wir heute noch nicht.

Könnte das wirtschaftlich sinnvoll sein, bzw. werden?

Es kann sinnvoll werden, meines Erachtens. Heute habe ich auch Verluste, wenn ich aus meinem Netz den Wechselstrom in Schweißstrom umwandle. Auch ein Schweißinverter hat einen Wirkungsgrad von 85, 90 Prozent. Das heißt, ich habe auch Verluste. Wenn ich zukünftig Gleichstrom aus der Brennstoffzelle erzeuge, habe ich vermutlich Verluste in ähnlicher Größenordnung. Im Moment sind die Wasserstoffnetze in Deutschland noch nicht auf einem Niveau ausgebaut, das ermöglicht grünen Wasserstoff tatsächlich als grünen Wasserstoff nutzen. Aktuell ist es eher grauer Wasserstoff. Plus: die Zulieferung ist noch nicht gewährleistet. Das meiste an grünem Wasserstoff, was im Umlauf ist, muss zugekauft werden.

© stock.adobe.com/Pcess609
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Wenn das Thema Nachhaltigkeit wichtig ist, möchte man natürlich grünen Wasserstoff nutzen. Was muss politisch dafür noch geleistet werden?

Letztlich muss das im Gleichschritt laufen. Auf der einen Seite benötigen wir mehr grünen Strom – Ausbau Windkraft, Solar und Hydropower/Wasserkraft. Das läuft alles, aber muss weiter beschleunigt werden. Wenn das konsequent umgesetzt wird, gibt es genügend grünen Strom, um grünen Wasserstoff zu erzeugen. Aber heute haben wir gar nicht die Kapazitäten. Wir benötigen größere Elektrolyseure. Da kommt die Fügetechnik ins Spiel.

Die Fügetechnik kann bei der Verfügbarmachung unterstützen?

Kernkomponente der Elektrolyseure sind Bipolarplatten, die heute sehr oft schon mithilfe von Laserstrahlschweißen gefügt werden. Das ist ein großer Anwendungsbereich. Da sind Tausende, Zehntausende solcher Bipolarplatten in so einem Elektrolyseur. Es müssen viel größere Produktionskapazitäten geschaffen werden. Außerdem öffnet sich der ganze Bereich der Zuführung des Wassers sowie die Wegführung der gewonnenen Gase. Das passiert in Rohrleitungssystemen. Diese Rohre müssen alle gasdicht geschweißt werden. Weil aber eine viel höhere Stückzahlen benötigt werden wird, wird man das auf jeden Fall automatisieren müssen. Das heißt, Rohr- und Rohr-Bodenschweißungen, die heute gemacht werden, Verbindungen von einzelnen Gasleitungen, die zum Teil manuell geschweißt werden, wird man künftig über automatisiertes Orbitalschweißen machen müssen. Ein großer Markt für die Fügetechnik, der in seinem Ausmaß noch gar nicht erschlossen ist.

Ein zweiter Aspekt wäre die Nutzung des Wasserstoffs als Energiequelle?

Genau. Die Frage ist, wo man den Wasserstoff dann speichert. Entweder speichert man direkt nach der Erzeugung, oder transportiert ihn erst irgendwohin und speichert ihn dann dort. Irgendwann muss ich ihn aber speichern. Meist geschieht das in Hochdruckspeichern. Letztlich sind das Druckbehälter, bei denen der Bedarf immer weiter steigen wird. Viele Druckbehälter werden heute manuell geschweißt. Das wird man automatisieren müssen. Wenn ich sehr große Druckbehälter schweißen möchte, werde ich sehr große Wandstärken brauchen, also Mehrlagenschweißen. Automatisiertes Mehrlagenschweißen, ist nicht unbedingt überall Standardtechnik. Das ist gerade erst im Kommen. Wenn ich so eine Mehrlagenschweißung, von beispielsweise insgesamt 30 Lagen, brauche, muss ich über Sensorik schauen, wo die nächste Naht positioniert sein sollte. Gerade automatisiertes Mehrlagenschweißen ist sicherlich da auch noch eine Herausforderung. Heute wird noch viel manuell geschweißt und da wird man sicherlich nicht weiterkommen, wenn größere Stückzahlen nötig sind.

Arbeiten Sie als Unternehmen in der Forschung und Entwicklung auch an einer Automatisierung dieser Mehrlagenschweißprozesse?

Ja, wir arbeiten hier mit einem Kooperationspartner daran, die Position der nächsten Lage automatisiert bestimmen zu können. Sowohl bei Druckgeräten, aber auch im Bereich regenerativer Energieerzeugung sehen wir da Bedarf. Im Zuge der Klimastrategie 2035 wird immer gesagt, wir müssen umstellen auf regenerative Energien. Was der Normalbürger vergisst, ist, dass sich so ein Windrad nicht von selbst aufbaut. Dafür braucht man Stahl und auch Fügetechnik. Für den Transport des Wasserstoffs werden Pipelines benötigt, die aktuell nicht zur Genüge vorhanden sind. Natürlich kann man im stehenden Erdgasnetz bis zu 70 Prozent Wasserstoff zumischen und es verwenden. Höhere Wasserstoffanteile werden kritisch, weil eventuell Wasserstoff an den Fügestellen austreten kann. Wenn ich flächendeckend überall Wasserstoff liefern will, benötigen wir nur in Deutschland aktuell zwischen 3.000 und 10.000 Kilometer weiterer Pipelines. Auch dafür muss wieder geschweißt werden. Sicherlich mehr als die Hälfte aller Pipelines werden heute manuell geschweißt. Bei dieser Menge wird man das weiter automatisieren müssen.

© stock.adobe.com/AA+W
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Wir haben jetzt über die Erzeugung gesprochen, über die Speicherung und über den Transport. Wie sieht es mit der Nutzung aus?

Es gibt zwei Möglichkeiten: Eine ist die Brennstoffzelle, mit der ich elektrischen Strom erzeugen kann. Bei der Brennstoffzelle ist es ähnlich wie bei den Elektrolyseuren. Da sind intensivste Laserschweißanwendungen im Einsatz. Die zweite Möglichkeit sind Gasbrenner. Hier kann ich Wasserstoff zum Beispiel zusätzlich mit Erdgas und Sauerstoff kontrolliert verbrennen, um dort wieder Energie zu erzeugen, zum Beispiel auch für Heizungen. Industrielle Heizungen, private Heizungen – alles, wo ich den jetzigen Öl- oder Gasbrenner ersetze durch einen Wasserstoff-Brenner. Brennstoffzellen sind im Bereich der Mobilität gefordert. Da tut sich sehr viel. Im Automobilbereich vielleicht weniger, da hier vorrangig auf Batterietechnik gesetzt wird. Aber das ist alles erst am Anfang. Auch hier habe ich wieder das Thema Skalierung.

Besteht in Zukunft also Bedarf eines Ausbaus des Wasserstoffnetzes in Deutschland?

In Zukunft wollen wir grünen Wasserstoff nicht aus dem Ausland beziehen, sondern aus Deutschland. Letztlich ist es Nonsens Wasserstoff aus fossilen Energiequellen zu gewinnen. Und: wir müssen technologieoffen bleiben. Es ist ein Fehler zu sagen, dass jetzt alles mit Batterietechnik gehen muss. Eventuell ist auch die Brennstoffzelle in manchen Bereichen eine Alternative, vielleicht auch E-Fuels. Letztlich geht es darum, die Technologie umweltfreundlich zu machen und nicht, sie zu pushen. Das wäre mein Wunsch: vernünftige Informationspolitik; keine Ideologien nach vorne zu bringen, sondern wirklich technische Lösungen, mit denen man eigentlich ganz klar über Fakten informieren kann.

Vielen Dank für das Gespräch!

Schlagworte

AutomatisierungFügetechnikLasertechnikSchweißnähteSchweißparameterSchweißtechnikWasserstoffWasserstofftechnologien

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